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Ein aus der Sicht der abgemahnten Verbraucher spektakuläres bei Rechtsanwalt Dr. Wachs veröffentlichtes und kommentiertes Urteil des Landgerichts Berlin vom 29.10.2014 (3 O 102/13) gibt erstaunliche Informationen aus der Praxis der Abmahnkanzlei BaumgartenBrandt preis. Die eigentlich streng vertraulichen Informationen sind durch einen Rechtsstreit des von BaumgartenBrandt im Jahr 2010 vertretenen Rechteinhabers gegen die Kanzlei BaumgartenBrandt an die Öffentlichkeit gelangt, der Prozess erlaubt quasi einen kleinen Blick in den „Giftschrank“. Sie werfen ein bemerkenswertes Licht auf die Interna einer großen deutschen Abmahnkanzlei. Doch worum geht es?

BaumgartenBrandt streitet sich mit seinem ehemaligen Mandanten um viel Geld, die Kanzlei (respektive wohl die beiden Partner) wurden auf € 160.000,00 verklagt, die dem Rechteinhaber aus dem Abmahngeschäft noch zustehen sollen.

Die Kanzlei hatte sich damit verteidigt, dass sie ja noch offene Honoraransprüche habe. Dem hielt der ehemalige Mandant der Kanzlei entgegen, dass man sich doch in einem „Sideletter“ auf eine prozentuale Verteilung der vereinnahmten Gelder geeinigt habe, wonach alle vier beteiligten Parteien und darunter eben auch die Kanzlei BaumgartenBrandt 25 % aus allen vereinnahmten Gelder erhalten und eben gerade nicht nach dem RVG abgerechnet werden solle. Das LG Berlin hat mit Urteil vom 29.10.2014 dem klagenden Ex-Mandanten von BaumgartenBrandt Recht gegeben und die beiden Anwälte zur Zahlung von € 160.000,00 verurteilt. Sie hätten nicht nachweisen können, dass die Abwicklung von tausenden Abmahnungen tatsächlich auf der Basis des RVG vereinbart gewesen sei.

Das vorliegende Urteil ist geschwärzt, was die Parteien betrifft. Doch Abmahnsumme und ein Hinweis auf S. 12 des Urteils, dass der Rechteinhaber in Dänemark ansässig ist, lassen wohl den Rückschluß zu, dass es sich bei dem klagenden Mandanten von BaumgartenBrandt um die Zentropa Entertainment23 Aps handelt. Für diese hatten BaumgartenBrandt seit 2010 massenhaft Abmahnungen verschickt. Für einen angeblichen Download etwa des „Antichrist“ verlangte BaumgartenBrandt damals von den Abgemahnten neben dem Unterlassungsanspruch die angeblich angefallenen Anwaltskosten. Bei dieser Abmahnung des Films von Lars von Trier könnte aber auch die Kanzlei BaumgartenBrandt der Teufel geritten haben: Denn in der Abmahnung hiess es damals auf S. 4:

„Sie sind zudem verpflichtet, unserer Mandantin die Kosten der Rechtsverfolgung gemäß § 97 Abs. 2 UrhG, § 97a Abs. 1 S. 2 UrhG und §§ 683, 677, 670 BGB zu erstatten …

Die erstattungspflichtigen Rechtsanwaltskosten für diese Abmahnung würden nach dem, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) bei einem hier anzusetzenden Streitwert von mindestens € 50.000,00 einen Betrag von € 1.359,80 netto ausmachen gemäß Nr. 2300 des RVG Vergütungsverzeichnisses“

Weiter hinten wurde dem jeweiligen Abgemahnten dann auf S. 6 der damaligen Abmahnung ein pauschaler Abgeltungsbetrag von „nur“ € 1.200,00 angeboten.

Die Kanzlei suggerierte dem abgemahnten Verbraucher also offenbar bewusst falsch, dass ihrem Mandanten tatsächlich Anwaltskosten von € 1.359,80 entstanden sein sollten, um diesen zur Zahlung eines günstigeren Vergleichsangebots von € 1.200,00 zu bewegen.

Den Urteilsgründe geben aber noch mehr Informationen preis: Danach hat die Zentropa mit einer Gesellschaft, die auf die Netzwerküberwachung und die Aufarbeitung von Daten verantwortlich sein sollte (im Urteil als G*** L*** (G***) bezeichnet), also mutmasslich der nach heutigen Prozesserkenntnissen damals für BaumgaretnBrandt tätigen Guardeley Ltd. eine Vereinbarung über die Ermittlung von Urheberrechtsverletzungen im Internet geschlossen (Service Agreement). Im April 2010 sei zu diesem Serviceagreement ein „Sideletter“ unterzeichnet worden aus dem sich ergeben sollte, wie die vereinnahmten Zahlungen zwischen den betroffenen Parteien verteilt werden. Auf S. 3 des Urteils heisst es hierzu im Tatbestand:

„Zunächst sollten von jeder Zahlung 400 € jedoch höchstens 1/3 des tatsächlichen Zahlbetrages abgezogen werden, um einen Risikofonds einzurichten und Auslagen zu decken. Von den verbleibenden Erlösen sollten 25 % der örtliche Verleih, 25 % ***, 25 % G*** und 25 % der vor Ort prozessbevollmächtigte Anwalt erhalten.“

Nach dem Sideletter sollten also vier Parteien jeweils 25 % aus allen eingehenden Beträgen erhalten: Der örtliche Verleih, die Guardeley Ltd., die örtlichen Anwälte und eine vierte im geschwärzten Urteil nicht spezifizierte Partei, möglicherweise die Zentropa. Die Kanzlei BaumgartenBrandt hat dieses Dokument nach den Feststellungen des Gerichts selber nicht unterzeichnet, vielleicht um keinen unnötigen Beweis gegen sich zu schaffen.

Bis zum 31.12.2011 seien dann 7.444 Abmahnungen verschickt worden und insgesamt € 955.923,75 an Zahlungen eingegangen. Auch diese Zahl ist hoch interessant: Da in allen Abmahnungen jeweils € 1.200,00 verlangt wurden, hätte dies bei 7.444 verschickten Abmahnungen eine Summe von € 8.932.800,00, also fast 9 Mio. Euro bedeutet. Aus der Tatsache, dass „nur“ € 955.923,75 eingingen kann man also den Rückschluss ziehen, dass nur etwa 790 Abgemahnte tatsächlich bezahlt haben (oder eben auch manche Abgemahnte deutlich weniger). Die Abmahnkanzlei kam also anders gerechnet nur auf eine Zahlungsquote von knapp über 10 % in Bezug auf die verschickten Abmahnungen.

Im Jahr 2011 – so die Feststellungen des LG Berlin – sei die weitere Bearbeitung der Fälle für Zentropa eingestellt worden. Ende 2011 hat BaumgartenBrandt dann „plötzlich“ Rechnungen produziert, in denen für den Zeitraum vom 18.9.2009 bis zum 22.11.2011 für die Tätigkeit fallweise abgerechnet wurde, im Urteil heisst es:

„Darin war zunächst auf der Basis eines Streitwerts von € 50.000,00 eine 1,3 fache Geschäftsgebühr von € 1.359,80 angesetzt, wobei aufgrund eines Nachlasses von 1.179,80 € letztlich 180,00 € für jeden Anspruchsgegner abgerechnet wurden.“

Die beklagten Anwälte behaupteten, sie seien an dem „Sideletter“ nicht beteiligt gewesen und hätten ausserdem ihren Mandanten schon bei Auftragserteilung darauf hingewiesen, dass nach den teuereren Gebühren des RVG abgerechnet werde.

Das Gericht hat dieser Verteidigung von BaumgartenBrandt aber keinen Glauben geschenkt. Zwar habe BaumgartenBrandt in der Tat den Sideletter nicht unterschrieben, dennoch sei letztlich klar, dass die Kanzlei sich verpflichtet habe, anhand der Regelung des Sideletters abzurechnen. Der im Sideletter benannte „local attorney“ könne nur die Kanzlei BaumgartenBrandt sein, denn andere Kanzleien hätten keine Abmahnungen ausgesprochen. Ausserdem hätte ein Zeuge vor Gericht ausgesagt, dass bei allen Besprechungen immer nur eine Aufteilung der Einnahmen im Raume stand, nie eine Abrechnung nach RVG. Aus all dem werde klar, so dass Landgericht, dass nie eine Abrechnung nach RVG gewollt war, sondern eben eine nach der prozentualen Verteilung des „Sideletters“.

Das Urteil gegen BaumgartenBrandt könnte erhebliche Auswirkungen auf laufende Verfahren haben, in denen die Kanzlei aktuell für andere Mandanten vor Gericht massenhaft in Deutschland die angeblich entstandenen Anwaltskosten und Schadensersatz einklagt. In Verfahren, in denen BaumgartenBrandt etwa aktuell für andere Rechteinhaber klagen, werden regelmäßig € 550,60 an zu erstattenden Anwaltskosten eingeklagt. Auch hier ist stets die Guardely Ltd. das Ermittlungsunternehmen. Es liegt nahe, dass auch in all diesen Fällen prozentuale Abreden hinsichtlich der Verteilung der eingehenden Einnahmen zwischen Rechteinhaber, Kanzlei und Ermittlungsunternehmen geschlossen wurden, da die Fälle alle aus der selben Zeit stammen.

Die prozentuale Verteilung war bis dato eines der bestgehüteten Geheimnisse der Abmahnkanzleien. Schon in 2010 wurde in der Presse über diesen Verteilungsschlüssel spekuliert (vgl. ct 2010, Heft 1, S 155). Einer noch heute im Internet kursierenden und etwa auf Wikileaks verfügbaren Präsentation der DigiRights Solution (DRS) liess sich entnehmen, dass die Rechteinhaber einen Anteil von 20 % an den erlösten Erträgen beanspruchten (siehe Folie 26 der Präsentation), also ebenfalls keine Rechnungen nach dem RVG erstellt wurden. Besonders frappant war hier der Vergleich, den die DigiRights in Ihrer Präsentation auf Folie 27 zwischen den Erträgen aus der legalen Nutzung und denen aus dem Abmahngeschäft zog: Stelle man 0,90 Cent pro legalem Download dem für € 90,00 abgemahnten Download gegenüber, so sei

„der Ertrag bei erfassten und bezahlten illegalen Downloads das 150 fache!“ … „Bei einer Zahlquote von 25 % müssten also pro Monat 5.000 illegale Downloads eines bestimmten Produktes erfasst werden. Dies ist pro Woche eine Erfassungszahl von 1.000, was bei gut laufenden Themen realistisch ist“

so die damalige Werbeaussage der DigiRights. Man sollte gewiss nicht alle Abmahnkanzleien in einen „Topf“ werfen, es gibt auch solidere Büros. Ob ähnliche Dokumente wie bei BaumgartenBrandt künftig auch bei anderen Kanzleien auftauchen werden, mag man abwarten, wirklich überraschend wäre es sicherlich nicht.


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