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Das Bundesverfassungsgericht erlaubt das Sampeln von kurzen Loops. Unser Kommentar zur urheberrechtlichen Grundsatzentscheidung.

Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am 31. Mai 2016 unter großem medialen Interesse  zugunsten der Kunstfreiheit festgestellt, dass beim Sampling die Verwertungsinteressen des Tonträgerherstellers gegebenenfalls zugunsten der Kunstfreiheit zurückzutreten haben, wenn die Verwertungsinteressen nur geringfügig beschränkt werden (BVerfG, Urteil v. 31.05.16, Az. 1 BvR 1585/13).

Sachverhalt

Seit mehr als einem Jahrzehnt streiten sich der Hip Hop Produzent Moses Pelham und das Kraftwerk-Mitglied Ralf Hüttler um einen zwei Sekunden langen Beat, den Moses Pelham aus dem Song „Metall auf Metall“ der Band Kraftwerk aus dem Jahr 1977 kopierte und bei der Produktion des Songs „Nur mir“ der Künstlerin Sabrina Setlur verwendete. Die Rhythmussequenz wurde als fortlaufende Wiederholung unter das Lied gelegt. Um Erlaubnis hatte Moses Pelham Kraftwerk nicht gefragt, weshalb Kraftwerk aus seinem Recht als Tonträgerhersteller aus § 85 UrhG  gegen diese Verwendung vorging und Unterlassung sowie Schadensersatz forderte. Da Sampling ein wesentlicher Teil der Hip-Hop-Musik und Produktion ist – unter Sampling versteht man die Neuinterpretation eines fremden „Beats“ – stützte sich der Künstler Moses Pelham in seiner Verfassungsbeschwerde auf die Kunstfreiheit. Das Verfahren hat großes Interesse erregt, beim Bundesverfassungsgericht gingen zahlreiche Stellungnahmen ein, so hielten etwa die Bundesrechtsanwaltskammer und die Bundesregierung die Verfassungsbeschwerde für begründet wobei die Bundesregierung die Meinung vertrat, dass kleinste Tonfetzen nicht dem Recht des Tonträgerherstellers unterfallen. Auch der Bundesverband der Musikindustrie sprach sich für eine großzügige Regelung beim Sampling aus, das aus der heutigen Musikproduktion nicht mehr hinwegzudenken sei (vgl. BVerfG, Urteil v. 31.05.16, Az. 1 BvR 1585/13 Rz. 39 ff.)

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Der Rechtsstreit ging durch mehrere Instanzen (LG Hamburg, Urteil v. 08.10.2004, Az. 308 O 90/99; OLG Hamburg, Urteil v. 07.06.2006, Az. 5 U 48/05; BGH, Urteil v. 20.11.2008, Az. I ZR 112/06; OLG Hamburg, Urteil v. 17.08.2011, Az. 5 U 48/05; BGH, Urteil v. 13.12.2012, Az. I ZR 182/11 „Metall auf Metall“), wobei Pelham stets unterlag.

Der BGH hatte im Jahr 2012 die Vorinstanzen bestätigt und entschieden, dass selbst die freie Nutzung kleinster Tonfetzen von einem fremden Tonträger unzulässig sei, wenn der durchschnittliche Produzent in der Lage sei diese selbst gleichwertig herzustellen, da dann ein Verstoß gegen das Leistungsschutzrecht aus § 85 Abs. 1 S. 1 UrhG vorliege (BGH v. 13.12.2012 Az. I ZR 182/11 – Metall auf Metall). Ohne Zustimmung des Urhebers dürfe ein Werk nur verwendet werden, wenn eine sogenannte freie Benutzung gemäß § 24 UrhG vorliege. Eine solche wurde im vorliegenden Fall jedoch abgelehnt. Der BGH bejahte also die Verletzung der Leistungsschutzrechte des Tonträgerherstellers beim Sampling und untersagte Pelham den Vertrieb des Werkes „Nur mir“ (BGH, Urteil v. 13.12.2012, Az. I ZR 182/11 = NJW 2013, S. 1885).

Das BVerfG beurteilt dies nun anders. Das angegriffene Urteil des BGH verletzt die Beschwerdeführer in ihrer Freiheit der künstlerischen Betätigung aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Die Kürze der Sequenz spielte hierbei eine maßgebliche Rolle. Die Annahme des Bundesgerichtshofs, die Übernahme selbst kleinster Konsequenzen stelle einen unzulässigen Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger dar, soweit der übernommene Ausschnitt gleichwertig nachspielbar sei, trage der Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung, so das Bundesverfassungsgericht. Die Verwertungsinteressen hätten in diesem Fall gegenüber der Kunstfreiheit zurückzutreten. Das Gericht betonte, dass mit der Neuaufnahme ein neues eigenständiges Werk entstanden sei, ohne dass Kraftwerk hierdurch ein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei. Das Gericht ging insbesondere auf das branchenübliche Sampling ein, es stellte fest dass ein Verbot die Schaffung von Musikstücken einer bestimmten Stilrichtung praktisch ausschließen würde. Die Regelung zur freien Benutzung in § 24 Abs. 1 UrhG, müsse richtigerweise analog herangezogen werden. Das Eigentumsrecht des Tonträgerherstellers stehe dem nicht entgegen:

„Es ist nicht ersichtlich, dass bereits durch die grundsätzliche Zulässigkeit erlaubnis- und entschädigungsfreier Nutzungen einzelner Sequenzen von Tonträgern zur Schaffung eines neuen Werks eine Situation geschaffen wird, in der eine angemessene Vergütung der Leistung der Tonträgerhersteller insgesamt nicht mehr gewährleistet wäre.“ (BVerfG, a.a.O,, Rz. 78).

„Die kunstspezifische Betrachtung verlangt, bei der Auslegung und Anwendung der urheberrechtlichen Ausnahmeregelungen die Übernahme fremder Werkausschnitte in eigene Werke als Mittel künstlerischen Ausdrucks und künstlerischer Gestaltung anzuerkennen und damit diesen Vorschriften für Kunstwerke zu einem Anwendungsbereich zu verhelfen, der weiter ist als bei einer anderen, nichtkünstlerischen Nutzung.“ (BVerfG, a.a.O,, Rz. 86).

Das BVerfG betont aber auch, dass es dem Gesetzgeber zum Ausgleich nicht verwehrt wäre, das Recht auf freie Benutzung aus § 24 Abs. 1 UrhG mit einer Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Vergütung zu verknüpfen.

BGH eventuell zur Vorlage an den EuGH verpflichtet

Das Bundesverfassungsgericht entscheid, dass der Fall vom BGH noch einmal neu beurteilt werden müsse, weil die früheren Entscheidungen der Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung trügen. Dabei wurde dem BGH auch mit auf den Weg gegeben, bei Nutzungen die seit dem 22.12.2002, also seit dem Inkrafttreten der Urheberrechtsrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft (Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft) stattgefunden haben, ergänzend zu prüfen, ob der Fall möglicherweise auch noch dem EuGH vorgelegt werden muss. Hierzu wäre anzumerken, dass bei der Beurteilung dieser Frage gegebenenfalls wohl auch die Richtlinie 92/100/EWG vom 19.11.1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht hinzugezogen werden müsste, denn diese harmonisiert in ihrem Art. 7 auch das Vervielfältigungsrecht der Tonträgerhersteller.1. Walter/von Lewinsky weisen in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, dass sich die Richtlinie eben gerade nicht dazu äußert, ob auch kleinste Teile vom Vervielfältigungsrecht erfasst seien, wie es eben gerade beim Sampling der Fall ist. Sie vertreten deshalb die Auffassung, dass dieser Aspekt den Mitgliedstaaten zur Regelung überlassen bleibe (Walter/von Lewinsky, European Copyright Law, 2013, Rz. 6.7.4, S. 317).

Bewertung

Das Urteil des BVerfG ist zu begrüßen, weil es der Kreativität in der Musikbranche größere Spielräume verschafft. Nicht oft sind Urteile des BGH Gegenstand von Verfassungsbeschwerden. Das Urteil des BVerfG hat Auswirkungen auf die Hip-Hop-Branche, weshalb sich viele Künstler bereits positiv zum Urteil äußerten. Die Übernahme von fremden Beats zur Neuinterpretation ist Usus in dieser Musikbranche, deren Fortentwicklung durch das Urteil des BGH durchaus ausgebremst war. Das BVerfG geht davon aus, dass die in Frage stehenden urheberrechtlichen Vorschriften mit der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und dem Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich vereinbar sind. Eine Gesetzesänderung ist also nicht zu erwarten.

Der Schutz des Tonträgerherstellers in Bezug auf Sampling wird nicht erst seit dem Rechtsstreit von Moses Pelham mit Kraftwerk kontrovers diskutiert. Teile der juristischen Literatur hatten sich schon früh für einen weiten Schutz des Tonträgerherstellers gegen Sampling ausgesprochen.2 Andere hatten darauf verwiesen, dass der Schutz des Tonträgerherstellers nicht weiter gehe dürfe, als der Schutz des Urhebers.3 Schon früh hatte das OLG Hamburg in der Entscheidung „Tonträgersampling“ (GRUR Int. 1992, 390) darauf verwiesen, dass der wettbewerbsrechtlich orientierte Schutzzweck die Rechte der Tonträgerhersteller seinen Grundgedanken nach dort begrenze, wo es nur um die Vervielfältigung kleinster Teile eines Tonträgers geht, da hier der Tonträgerhersteller keine messbaren Nachteile erleide. In diesem Sinne war auch schon damals gefordert worden, ein taugliches Abgrenzungskriterium in Fällen zu suchen, wo für das Sampling der „entwendete“ Teil unter erheblichem Aufwand vom ersten Tonträgerhersteller aufgenommen wurde, so dass er nur in diesen Fällen eine wettbewerbsrechtlich relevante Leistung darstellt.4

In dieser Richtung argumentiert heute auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es seine Entscheidung dort einschränkt, dass anderes gelten kann, wenn das gesampelte Werk so große Ähnlichkeit mit dem ursprünglichen Stück habe, dass es mit diesem in Konkurrenz tritt.

Es bleibt abzuwarten, welche Voraussetzungen der BGH in seiner Neubewertung aufstellen wird, ob er etwa eine genaue Sekundengrenze festlegen wird, ab welcher auch Sampling die Verwertungsinteressen des Tonträgerherstellers beeinträchtigt und unzulässig ist. Einer Entwertung kreativen Schaffens muss jedenfalls vorgebeugt werden. Die Übernahme von fremden Tonfolgen ist auch nach dem Urteil des BVerfG nicht grundsätzlich erlaubt, vielmehr berücksichtigte das Gericht insbesondere die Kürze der übernommenen Folge und die Beeinträchtigung der Leistungsschutzrechte des Tonträgers. Sofern die übernommene Tonfolge selbst schon derart kreativ ist, ist diese darüber hinaus urheberrechtlich geschützt und eine Übernahme ist von vornherein rechtswidrig.

  1. Vgl. hierzu Knies, Die Rechte der Tonträgerhersteller in internationaler und rechtsvergleichender Sicht, S. 97 ff.
  2. So etwa Schorn, GRUR 1989, 579, 580; Hertin, GRUR 1989, 578; Weßling, Der zivilrechtliche Schutz gegen digitales Sound-Sampling, S. 159 f; Schulze, ZUM 1994, 15, 20; vgl. zum ganzen: Knies Die Rechte der Tonträgerhersteller in internationaler und rechtsvergleichender Sicht, S. 192 f.
  3. So etwa Hoeren, GRUR 1989, 580, 581, OLG Hamburg, GRUR Int. 1992, 390 – „Tonträgersampling“.
  4. So damals schon Knies, a.a.O., S. 193.

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