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Spontane Negativäußerungen in der Fernsehshow: Schmähkritik oder zulässige Meinungsäußerung? OLG Köln 15 U 148/14

„Sportlich“ ging es in der rbb TV Show „Thadeusz und die Beobachter“ zur Sache, in der der Bundestagsabgeordnete der Linken Dieter Dehm (der Verfügungskläger) u.a. mit einem Journalisten und Autor (dem Verfügungsbeklagten) diskutierte. So mancher dürfte sich beim Betrachten der Sendung wohl an die sagenumwobenen Auftritte von Klaus Kinski in den diversen Talk-Shows der 70er Jahre erinnert gefühlt haben. Dieter Dehm ist als Songtexter („Was wolln wir trinken 7 Tage lang?“) Labelproduzent und Exmanager von Kathi Witt eine schillernde Figur.

Vorgeschichte der TV Show war ein bemerkenswertes Interview Dehms, das er auf dem Linken Parteitag 2014 in Hamburg der „ZEIT“ Journalistin Elisabeth Niejahr gegeben, und das diese offenbar so schnell nicht vergessen hat. Am Kaffeetisch habe sie sich neben Dehm gestellt, der einen Kollegen schnell verabschiedet habe als sich Niejahr mit ihm unterhalten wollte mit den Worten „Macht nichts, ich rede sowieso lieber mit Frauen“. Dann habe er Niejahr den Witz aufgetischt ob sie „den Unterschied zwischen Onanieren und Geschlechtsverkehr kenne“, den er, nachdem Niejahr die Antwort nicht wusste, elegant damit auflöste, „dass man beim Geschlechtsverkehr mehr Leute kennen lerne“. Gegenüber dem Magazin Express hat Dehm diese Darstellung bestritten und behauptet, Niejahr habe selber den Begriff „Selbstbefriedigung“ verwendet. Dem wiederum widerspricht Niejahr in ihrem Twitter Account „Habe NICHT über Selbstbefriedigung gesprochen“.

Der Artikel Niejahrs in der „ZEIT“ über dieses Gespräch war Anlaß für eine neue Sexismusdebatte. In der rbb-Talkshow „Thadeusz und Beobachter“ traf der Linken Politiker auf seinen Prozessgegner.

Ebenfalls als Diskussuinsgast in der Sendung war offenbar die Journalistin Niejahr. Sie bestritt erneut von „Selbstbefriedigung“ im Zusammenhang mit einer Abstimmung auf dem Parteitag gesprochen zu haben. Daraufhin sagte der beklagte Journalist in der Sendeminute 54:01 die streitgegenständliche Äußerung:

„Also … hat nun offiziell einen an der Waffel, ja?! Also der, der ist nun echt´n Borderliner“

In erster Instanz hatte Dehm den Journalisten noch erfolgreich auf Unterlassung dieser Äußerung in Anspruch genommen. Das Landgericht Köln erließ die beantrage Verfügung (Az. 28 O 124/14 v. 09.07.2014) mit der dem Verfügungsbeklagten untersagt wurde, sowohl die streitgegenständliche Äußerung, als auch eine weitere angegriffene Äußerung in Bezug auf den Abgeordneten zu äußern.

Der Verfügungskläger stützte seinen Antrag in erster Instanz darauf, dass er durch diese Äußerung in seinen allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sei. Weiterhin handle es sich bei den vorliegenden Aussagen um Formalbeleidigungen sowie Schmähkritik und nicht um zufällige Spontanäußerungen, da er durch gezielte und bewusste Spekulationen über seinen Geisteszustand degradiert wurde.

Mit dem Widerspruch des beklagten Journalisten gegen die Beschlussverfügung trug dieser vor, bei der Äußerung handele es sich um zulässige Werturteile, die spontan und ironisch pointiert seien. Die Äußerung müsse im Kontext der Begleitumstände des Interviews bewertet werden. Die Äußerungen seien vom Publikum erkennbar als umgangssprachliche ironische Zuspitzungen der Bewertung des Verfügungsklägers als „Grenzgänger“ gesehen worden. Als politischer Mandatsträger müsse sich Verfügungskläger im demokratischen System zudem in stärkerem Maße Kritik hinnehmen.

Dennoch hielt das Landgericht Köln die einstweilige Verfügung in Bezug auf die streitgegenständlichen Äußerung weiterhin aufrecht, hob aber die einstweilige Verfügung im übrigen auf und wies weitere Anträge zurück. Daraufhin legte der Verfügungsbeklagte Berufung ein. Entscheidend sei, so das Landgericht, dass die grundsätzliche Kritik am Verhalten der Parteimitglieder der Linken durch die Journalistin Niejahr selbst und nicht durch den Verfügungskläger erfolgt sei. Der Verfügungsbeklagte habe alleine herabwürdigende Äußerungen in die Diskussion eingebracht.

Gegen diese Wertung des LG Köln wandte sich der beklagte Journalist mit seiner Berufung zum OLG Köln:

Mit Urteil vom 09.12.2014 (AfP 2015, 63ff.) hat das OLG Köln der Berufung des Verfügungsbeklagten statt gegeben, weil der Verfügungskläger nach Ansicht des OLG keinen Anspruch auf Unterlassung der vom Landgericht untersagten Äußerungen habe:

Zwar verweist das OLG auf die Erwägungen des Landgericht bzgl. der Reichweite des Persönlichkeitsrechts, der Einordnung der streitgegenständlichen Äußerung als Meinungsäußerung, der Erforderlichkeit der Betrachtung der Äußerung in ihrem Kontext sowie die Zulässigkeit von Meinungsäußerungen bis zur Grenze der Formalbeleidigung und Schmähkritik. Jedoch kommt es in Heranziehung dieser Maßstäbe zu dem Ergebnis, dass die Äußerung des Verfügungsbeklagten, entgegen der Auffassung des Landgerichts, vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gem. Art 5 Abs. 1 GG gedeckt ist.

Zum einen liessen die Äußerungen aus Sicht eines objektiven Zuschauers schon gar nicht die Deutung zu, dass der Verfügungsbeklagte die geistige Gesundheit des Verfügungsklägers pauschal in Frage stellen wolle. Sie erfolgten vielmehr im Zusammenhang mit der Kritik an dem Verhalten des Verfügungsklägers gegenüber der Journalistin vor dem Hintergrund des Twitter- # Aufschreis.

Weiterhin folgte die Äußerung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Aussage der Journalistin, sie habe gedacht, „dass selbst die bescheuertsten Politiker“ sich angesichts der „Brüderle-Episode“ so etwas nicht mehr trauen würden. Der Verfügungsbeklagte habe dementsprechend zum Ausdruck bringen wollen, dass der Verfügungskläger eben diesen, von der Journalistin beschriebenen, „bescheuertsten Politikern“ angehöre. Insbesondre mit dem Begriff „Borderliner“ habe der Verfügungsbeklagte zudem verdeutlichen wollen, dass der Verfügungskläger gerne Grenzen überschreitet.

Es sei dem Verfügungsbeklagten also sehr wohl auch darum gegangen, den Abgeordneten für sein Verhalten im konkreten Sachzusammenhang zu kritisieren. Weiterhin seien die Aussagen, auch wenn sie eine überzogene oder gar ausfällige Kritik darstellen, noch nicht als Schmähkritik anzusehen. Denn um eine Aussage als solche zu definieren, müsse die Diffamierung der Person im Vordergrund stehen und nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache, wie es vorliegend aber der Fall sei. Die Äußerungen haben nach Ansicht des OLG zwar einen ehrverletzenden Charakter, allerdings sei im Rahmen einer Abwägung der verfassungsrechtlichen Güter ein Verbot der Äußerungen zu verneinen. Denn der Verfügungsbeklagte habe durch seine – wenn auch überspitzte – Äußerung, die spontan anlässlich einer Fernsehsendung erfolgte, den Bezug zur Diskussion über das Verhalten des Politikers nicht verloren und damit jedenfalls auch zur öffentlichen Meinungsbildung beigetragen. Abschließend stimmte das OLG den Ausführungen des Verfügungsbeklagten dahingehend zu, dass der Verfügungskläger als Politiker in stärkerem Maße Kritik hinnehmen müsse.

Bewertung:

Die Entscheidung des OLG Köln zeigt, dass sich Politiker als Personen des öffentlichen Interesses in größerem Maße Kritik gefallen lassen müssen. Die streitgegenständliche Äußerung in der TV Debatte war zudem vor dem Hintergrund des fragwürdigen Interview Verhaltens Dehms zu bewerten. Im Ergebnis wird man dem OLG also zustimmen müssen, dass die spontane Äußerung von Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt war. Klaus Kinski hätte gewiss seine Freude an dieser Entscheidung gehabt.


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