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Einführung in das Europäische Urheberrecht

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Das Urheber- und Leistungsschutzrecht hat die Gemeinschaft erst relativ spät als regelungsbedürftige Materie erkannt. Hält man sich vor Augen, daß die Verträge zur Gründung der Gemeinschaft aus dem Jahre 1957 datieren, so fällt es doch auf, daß das Augenmerk der Institutionen der Gemeinschaft erst zu Beginn der siebziger Jahre auf das weite Gebiet des geistigen Eigentums fiel. Der Europäische Gerichtshof begann damals, sich mit dem Verhältnis des Urheber- und Leistungsschutzrechtes zum gemeinsamen Markt zu beschäftigen. Aus dem Jahr 1971 datiert das „Deutsche Grammophon“-Urteil des EuGH, das sich mit der gemeinschaftsweiten Erschöpfung der Verbreitungsrechte und den Grundsätzen des freien Warenverkehrs beschäftigte. Mitte der siebziger Jahre gab die Kommission erste Studien zu urheberrechtlichen Einzelfragen in Auftrag, die man als harmonisierungsbedürftig erkannt hatte. In diesem Zusammenhang wurde von einem ersten „Schub“ von Harmonisierungsbemühungen gesprochen. Doch blieben diese Bemühungen vorerst ohne praktische Ergebnisse. Ein zweiter Schub von Harmonisierungsbestrebungen widmete sich vorrangig Detailproblemen: Es ging um die Harmonisierung grenzüberschreitender Rundfunksendungen. Die Kommission veröffentlichte zu dieser Thematik 1984 ihr Grünbuch „Fernsehen ohne Grenzen“ und 1989 folgte die umstrittene Richtlinie. Von nun an trat neben die Rechtsprechung des EuGH auch eine unermüdliche Tätigkeit der Kommission zur Vorbereitung neuer Gesetzgebungsakte der Gemeinschaft: 1988 veröffentlichte die Kommission ihr Grünbuch über „Urheberrecht und die technologische Herausforderung“. Das Grünbuch behandelte Fragen der Piraterie, der Vermietung und Verleih, sowie der privaten Vervielfältigung. Es hat eine heftige Kritik erfahren, weil es einen vorrangig industriepolitischen Ansatz verfolgte und die schöpferischen Interessen der Urheber stark vernachlässigte. Es ist insofern von einem „Urheberrecht ohne Urheber“ gesprochen worden.

Nachdem am 24. Januar 1989 das Urteil des EuGH zu den Schutzfristenunterschieden ergangen war, beeilte sich die Kommission, diese Frage auch noch in ihr Arbeitsprogramm von 1990 aufzunehmen. Im Mai 1991 wurde mit der Computerprogramme-Richtlinie die erste zentrale urheberrechtliche Richtlinie der Gemeinschaft erlassen. Am 14. Mai 1992 folgte die an die Mitgliedstaaten gerichtete Entschließung des Rates, in der diese aufgefordert werden bis zum 1. Januar 1995 sowohl dem Rom-Abkommen, als auch der RBÜ beizutreten. Die Entscheidung begründete gemeinsam mit dem Arbeitsprogramm der Kommission von 1990 eine weitere Ebene der Arbeit der Kommission und der Gemeinschaft: Sie markiert eine beginnendes Interesse der Gemeinschaft, sich in die internationalen Verhandlungen über neue Verträge auf dem Gebiet des Urheber- und Leistungsschutzrechtes aktiv einzumischen.

Am 19. November 1992 wurde die für die Rechte der Tonträgerhersteller immer noch zentrale Vermietrechtsrichtlinie erlassen. Es folgte im September 1993 die Richtlinie über Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung. Einen Monat später erging das bahnbrechende Phil-Collins-Urteil des EuGH, und nur neun Tage später wurde am 29. Oktober 1993 die Schutzfristenrichtlinie verabschiedet. Am 15. April 1994 konnte das TRIPs-Abkommen verabschiedet werden. Die Kommission hatte für die Gemeinschaft die Verhandlungsführung übernommen. Die Gemeinschaft errang einen ersten Erfolg auf dem internationalen Parkett und der EuGH bestätigte wenig später der EG in einem Gutachten eine gemischte Kompetenz der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten zum Abschluß des Abkommens. Im Herbst 1994 begann die Kommission, sich auf die durch die Informationsgesellschaft aufgeworfenen Fragen zu stürzen. Sie veröffentlichte das „Grünbuch über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“. Im März 1996 wurden die gesetzgeberischen Tätigkeiten der Gemeinschaft mit der Verabschiedung der Datenbankenrichtlinie fortgesetzt.

Vom März 1996 datiert der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über das Folgerecht. Im November 1996 veröffentlichte die Kommission schließlich die „Initiativen zum Grünbuch“. Der Text gibt einen Überblick über die künftig geplanten gesetzgeberischen Tätigkeiten der Gemeinschaft zur Regelung der Informationsgesellschaft. Im Dezember 1996 konnte die Gemeinschaft mit ihren Mitgliedstaaten auf dem internationalen Parkett einen weiteren wichtigen Erfolg erzielen: In Genf einigte man sich auf den neuen Urheberrechtsvertrag WCT und ein Abkommen zum Schutz der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler WPPT. Institutionell wurde die neu gewonnene Stellung der Gemeinschaft in den beiden Verträgen insbesondere dadurch unterstrichen, daß ihr eine originäre Beitrittsmöglichkeit eingeräumt wurde, ein nicht zu unterschätzender Verhandlungserfolg der Unterhändler der Gemeinschaft. Seit dem Dezember 1997 liegt jetzt schließlich der Vorschlag der Kommission zu einer neuen Richtlinie vor, mit der die Ergebnisse der beiden WIPO-Verträge und des auf den Binnenmarkt bezogenen Konsultationsprozesses umgesetzt werden sollen.

Betrachtet man die urheber- und leistungsschutzrechtlichen Aktivitäten der Gemeinschaft wertend, so fällt zum einen auf, daß der industriepolitische Ansatz nach der heftigen Kritik weitgehend aufgegeben wurde. Ein schönes Beispiel der Sorge um den traditionellen Urheber ist etwa die geplante Richtlinie zum Folgerecht. Weiter muß man sich vor Augen halten, daß die Gemeinschaft aufgrund der schwierigen kompetenzrechtlichen Situation immer nur Teilgebiete des Urheber- und Leistungsschutzrechtes harmonisiseren kann. Die Mitgliedstaaten pochen verstärkt auf das Subsidiaritätsprinzip und bestehen darauf, daß solche Regelungsgegenstände, die nicht unmittelbar mit dem gemeinsamen Markt in Verbindung stehen, in ihrer Zuständigkeit verbleiben. In Anbetracht dieser Tendenz scheint es wohl auf absehbare Zeit fraglich, ob der Ruf nach einem vollständig harmonisierten europäischen Urheberrecht in naher Zukunft zu verwirklichen sein wird. (Zitat aus Knies, Tonträgerherstellerrechte, 1999, S. 88 ff.)


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