BGH I ZR 169/12 „Bearshare“ Keine Haftung des Anschlussinhabers für illegales Flesharing eines erwachsenen Stiefsohnes
I. Videokommentar zur Bearshare Entscheidung:
II. Sachverhalt
Der Bundesgerichtshof hatte heute über einen neuen Filesharing Fall zu entscheiden. In der nunmehr dritten Filesharing-Entscheidung nach „Sommer unseres Lebens“ zur W-LAN Sicherheit und „Morpheus“ zur Haftung für minderjährigen Kinder, ging es in „Bearshare“ diesmal um die Frage, ob und inwieweit ein Anschlußinhaber Erwachsenen Zugriff auf das Internet gewähren darf, ohne befürchten zu müssen, selber als „Störer“ für deren Fehlverhalten haftbar gemacht zu werden.
I. Der Sachverhalt war kurios: Der Anschlussinhaber, ein Polizeibeamter im Bereich der Internetpiraterie hatte dem erwachsenen Sohn seiner Ehefrau Zugriff auf sein häusliches Internet gewährt, der Stiefsohn hatte ohne Kenntnis des Beamten über Gnutella fast 4000 mp3 Dateien per Filesharing getauscht. Auf die damals noch üblichen Strafanzeigen der Kanzlei Rasch hin gab es eine Hausdurchsuchung bei dem Polizeibeamten, in deren Verlauf dessen 20 jähriger Stiefsohn die Tat zugab. Diesen Aspekt hatte die Kanzlei Rasch bei der späteren Akteneinsicht aber wohl übersehen und mahnte wie üblich den Anschlussinhaber ab. Streitig war im weiteren Verlauf insbesondere die Frage, ob der erwachsene Stiefsohn vom Anschlussinhaber über die Gefahren des Filesharings belehrt worden war oder nicht, und ob eine solche Belehrung bei Erwachsenen überhaupt notwendig sei. Der Bundesgerichtshof hatte eine solche Belehrung ja in seiner Morpheus Entscheidung jedenfalls gegenüber minderjährigen Kindern als erforderlich angesehen.
Das Landgericht Köln und das Oberlandesgericht Köln hatten den Polizisten zum Ersatz von Abmahnkosten in Höhe von € 3.454,00 (so das Landgericht) verurteilt, das Oberlandesgericht war der Meinung, dass „nur“ € 2.841,00 angemessen wären. Der Beklagte hatte gegen die Höhe der Abmahngebühren eingewandt, er hafte schon dem Grunde nach nicht als Störer. Außerdem gäbe es eine Erfolgsvereinbarung zwischen dem Plattenlabel und der Abmahnkanzlei die ihm gegenüber unzulässig sei.
Das OLG Köln wollte in seinem Urteil (6 U 208/10) die Revision nicht zulassen. Dagegen wurde vom Beklagten erfolgreich Verfassungsbeschwerde erhoben. Das BVerfG hat am 21. März 2012 entschieden, dass die Nichtzulassung der Revision durch das OLG Köln den Beschwerdeführer in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletze (BVerfG 1 BvR 2365/11) und die Sache an das OLG Köln zurückverwiesen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof äußerten die Bundesrichter nun tatsächlich Zweifel daran, ob es nicht vielleicht doch eine solche wohl unzulässige Erfolgsvereinbarung gebe. Hierauf würde es allerdings nur dann ankommen, wenn eine Störer-Haftung des Anschlussinhabers gegeben sei, man den Beamten also eine rechtliche Pflicht zur Belehrung seines Stiefsohnes hätte auferlegen müssen. Die Entscheidung gegen Rasch kam vor dem Hintergrund des Morpheus Urteils nicht überraschend:
Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Bei der Überlassung eines Internetanschlusses an volljährige Familienangehörige sei zu berücksichtigen, dass die Überlassung durch den Anschlussinhaber auf familiärer Verbundenheit beruht und Volljährige für ihre Handlungen selbst verantwortlich sind. Im Blick auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Familienangehörigen und die Eigenverantwortung von Volljährigen dürfe der Anschlussinhaber einem volljährigen Familienangehörigen seinen Internetanschluss überlassen, ohne diesen belehren oder überwachen zu müssen, so der BGH; erst wenn der Anschlussinhaber – etwa aufgrund einer Abmahnung – konkreten Anlass für die Befürchtung hat, dass der volljährige Familienangehörige den Internetanschluss für Rechtsverletzungen missbraucht, hat er die zur Verhinderung von Rechtsverletzungen erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Da der Beklagte nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen keine Anhaltspunkte dafür hatte, dass sein volljähriger Stiefsohn den Internetanschluss zur rechtswidrigen Teilnahme an Tauschbörsen missbraucht, haftet er auch dann nicht als Störer für Urheberrechtsverletzungen seines Stiefsohnes auf Unterlassung, wenn er ihn nicht oder nicht hinreichend über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Tauschbörsen belehrt haben sollte.
III. Die Begründung des Bearshare Urteils:
Den Volltext der Bearshare Entscheidung I ZR 169/12 können Sie hier nachlesen: Pdf >
Die nunmehr vorliegende Begründung des Bearshare-Urteils ist nicht nur für die Haftungsfrage von allgemeinem Interesse, in denen eine Haftung für Fehlverhalten von erwachsenen Familienangehörigen verneint wird.
Der BGH macht in der Urteilsbegründung grundlegende Ausführungen zur sekundären Darlegungslast und der tatsächlichen Vermutung, zwei wichtigen prozessualen Regeln in Filesharing Fällen:
a. Tatsächliche Vermutung
Kommt es über einen Internet-Anschluss zu einer Rechtsverletzung in Tauschbörsen, so galt bisher immer, dass dann die tatsächliche Vermutung besteht, dass hierfür der Anschlussinhaber verantwortlich ist. In der Vergangenheit war hierbei oft streitig, ob dies auch dann gilt, wenn andere Personen Zugriff auf das Netz hatten. Der BGH präzisiert nunmehr diese tatsächliche Vermutung: Er stellt zu Recht klar, dass die tatsächliche Vermutung jedenfalls dann schon nicht mehr begründet ist, „wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung (auch) andere Personen diesen Anschluss nutzen konnten“ (Rz. 15 des Urteils).
b. Sekundäre Darlegungslast
Der BGH klärt zudem die lange streitige Frage, dass die sekundäre Darlegungslast nicht zu einer Umkehr der Beweislast führt, was viele Abmahnkanzleien immer wieder behauptet hatten (Rz. 18 des Urteils).
Zum Inhalt der sekundären Darlegungslast führt der BGH wie folgt aus:
„Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet.“
In vielen Fällen in der Vergangenheit standen zahlreiche beklagte Anschlussinhaber vor dem Problem, dass mögliche Täter im Familienkreis die illegalen Downloads nicht zugegeben hatten. Das betraf oft Kinder, die Angst vor elterlichen Repressalien hatten. Hier hatten einige Gerichte dann immer wieder geurteilt, dass mangels Geständnis der Kinder, dann eben die Eltern wieder haftbar seien.
Der Wortlaut der Urteilsbegründung der Bearshare Entscheidung legt jetzt aber nahe, dass der Anschlussinhaber künftig keinen Täter mehr präsentieren muss um gewinnen zu können, die sogenannte „Ross und Reiter Theorie“ also wohl überholt sein dürfte. Es wird also wohl künftig ausreichen, in der Verteidigung vorzutragen, dass es eben noch weitere Personen im Haushalt gab, die auch realistisch als Täter in Betracht kommen. Dies dürfte die Verteidigung vieler Fälle erheblich erleichtern.
Quellen: Pressemitteilung des BGH Nr. 5/2014
München/Karlsruhe 8. Januar / 27. Juni 2014