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Der BGH zur identifizierenden Berichterstattung eines Online-Nachrichtenportals über ein Ermittlungsverfahren

In einem aktuellen Urteil hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass bei einer identifizierenden Berichterstattung über ein Ermittlungsverfahren auch in dem Fall, dass in einer amtlichen Verlautbarung der Staatsanwaltschat der Name des Beschuldigten genannt wird, die Medien zu einer eigenständigen Prüfung verpflichtet sind, ob eine Namensnennung gerechtfertigt ist (Urt. v. 16.02.2016 – VI ZR 367/15).

Sachverhalt

Der Kläger ist ein deutschlandweit bekannter Fußballprofi. Im Jahr 2012 war gegen ihn wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen nach § 179 StGB ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, das jedoch kurze Zeit später mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde.

Die Beklagte, ein Online-Nachrichtenportal, berichtete im Zeitraum von Januar bis April 2012 mit insgesamt sechs Artikeln unter namentlicher Nennung und teilweise auch mit Fotos des Klägers über Einleitung, Fortgang und Einstellung des Ermittlungsverfahrens. Die Artikel waren auch nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens weiterhin im Online-Archiv der Beklagten abrufbar. Die Artikel, die die Einleitung und den Fortgang des Ermittlungsverfahrens zum Thema hatten, wurden von der Redaktion jedoch um den Hinweis ergänzt, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde.

Der Kläger forderte die Beklagte außergerichtlich auf, die das Ermittlungsverfahren betreffende Berichterstattung aus ihrem Archiv zu entfernen, was die Beklagte jedoch ablehnte.

Das Landgericht (LG) Köln hatte der Beklagten untersagt, die Artikel weiterhin zum Abruf bereitzuhalten (Urt. v. 17.12.2014 – 28 O 220/14), das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat einen Unterlassungsanspruch des Klägers hingegen verneint (Urt. v. 12.05.2015 – 15 U 13/15).

Entscheidung des Gerichts

Der BGH hat zunächst festgestellt, dass das Bereithalten der identifizierenden Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren in einem Online-Archiv in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers aus Art. 1 Abs.1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK eingreife. Ob der Eingriff jedoch auch rechtswidrig sei, sei durch eine Abwägung mit dem Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK zu entscheiden.

Dabei sei vor allem zu berücksichtigen, ob die Berichterstattung im Zeitpunkt ihrer erstmaligen Veröffentlichung zulässig gewesen sei. Da Gegenstand einer identifizierenden Berichterstattung über ein Ermittlungsverfahren nicht nur das Ermittlungsverfahren selbst, sondern auch der Verdacht einer bestimmten Straftat sei, müssten die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichtserstattung erfüllt sein.

Die Berichterstattung dürfe hier keine Vorverurteilung des Beschuldigten enthalten und es sei zunächst eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Weiterhin müsse es sich um einen gewichtigen Tatvorwurf handeln, sodass ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit bestehe. Schließlich müssten vor der Veröffentlichung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden.

Ob die Anforderungen im konkreten Fall erfüllt seien, könne anhand der vom OLG Köln getroffenen Feststellungen jedoch nicht abschließend geklärt werden, sodass die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen sei.

Dabei gab der BGH dem OLG Köln mit auf den Weg, dass Verlautbarungen amtlicher Stellen zwar ein gesteigertes Vertrauen genössen, da sie vor einer Veröffentlichung eine Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vorzunehmen hätten. Selbst für den Fall, dass die Berichterstattung auf einer unter namentlicher Nennung des Beschuldigten erfolgten Unterrichtung der Staatsanwaltschaft beruhe, müssten aber dennoch abgewogen und geprüft werden, ob bei einer Berichterstattung auch eine Namensnennung des Beschuldigten gerechtfertigt sei.

Bewertung

Die Entscheidung des BGH ist zu begrüßen, da sie die Rechte der von einer Verdachtsberichterstattung Betroffenen schützt. Die Medien dürfen sich für die Frage, ob der Beschuldigte in der Berichterstattung namentlich genannt werden darf, nicht auf die von einer öffentlichen Stelle angestellte Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Allgemeinheit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verlassen, sondern müssen eine eigenständige Abwägung vornehmen.

Der BGH hatte bereits in der Vergangenheit über Altmeldungen in Online-Archiven zu entscheiden. Dies betraft etwa die Berichterstattung über die Verurteilung wegen des Mordes an Walter Sedlmayr (Urt. v. 15.12.2009 – VI ZR 227/08) oder über ein Ermittlungsverfahren gegen einen Gazprom-Manager wegen Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung (Urt. v. 30.10.2012 – VI ZR 4/12). Auch hier wurde insbesondere darauf abgestellt, ob die Berichterstattung ursprünglich zulässig war.


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