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Die „Panoramafreiheit“ ist auf der Tagesordnung des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments gelandet, das über einen einschränkenden Entwurf voraussichtlich am 9. Juli 2015 entscheiden wird. Doch ist sie nun wirklich bedroht, wie viele Berichte im Internet behaupten und worum geht es überhaupt?

Die Panoramafreiheit ist eine alte und wohlbegründete Regelung des deutschen Urheberrechtsgesetzes und dort in § 59 UrhG geregelt. Danach dürfen Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen und Strassen befinden durch Bild, Malerei oder Film vervielfältig und verbreitet werden. Die deutsche Vorschrift macht keinen Unterschied zwischen architektonischen Bauwerken und Kunstwerken wie Plastiken, ebenso wenig spielt es eine Rolle, ob die Nutzung der Fotos privat oder gewerblich ist. Touristen wie auch Fernsehsender oder Postkartenhersteller können also beliebig von ihr Gebrauch machen und Selfies vor dem Alten Rathaus in München ebenso schießen wie vor der Allianzarena in München oder Kunstwerken, die sich im öffentlichen Raum befinden. Postkarten dürfen die Motive abbilden.

Die Regelung war immer schon damit begründet, dass Werke, die im öffentlichen Raum ohnehin von jedermann betrachtet werden können, dann eben auch vervielfältigt, verbreitet und öffentlich wiedergegeben werden sollen. Einzige Einschränkung war das Merkmal des „bleibenden Kunstwerkes“. Nur vorübergehende Installationen wie etwa die Verhüllung des Reichstages durch den Verpackungskünstler Christo, dürfen also nur mit Zustimmung des Urhebers auf Postkarten gedruckt werden. Theoretisch wäre hier auch das beliebte „Selfie“ ein Urheberrechtsverstoß. Immer schon war die Panoramafreiheit zudem auf die äußere Fassade des Gebäudes beschränkt. Innenaufnahmen von urheberrechtlich geschützten Gebäuden dürfen also auch heute schon nur mit Zustimmung des Urhebers gemacht und verwertet werden.

Die Regelung gilt aber natürlich nur für „neue“ Kunstwerke, also solche bei denen die urheberrechtliche Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers noch nicht abgelaufen ist. Damit würden Änderungen der Regelung etwa das Fotografieren alter Gebäude wie des Alten Rathauses in München, des Brandenburger Tors in Berlin oder des Eiffelturms in Paris ohnehin nicht betreffen.

Auf Europäischer Ebene ist die Panoramafreiheit in der zentralen Richtlinie zur Informationsgesellschaft 2001/29/EG und dort in Art. 5 Abs. 3 lit h) geregelt. Hier heißt es, dass von den Mitgliedstaaten Ausnahmen vom Vervielfältigungsrecht und dem Recht der öffentlichen Wiedergabe gemacht werden dürfen

„für die Nutzung von Werken wie Werken der Baukunst oder Plastiken, die dazu angefertigt wurden, sich bleibend an öffentlichen Orten zu befinden.“

Auf die Regelung findet nach Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie dann noch der sogenannte „Dreistufentest“ Anwendung, nach dem die Ausnahmen auf (1.) Sonderfälle beschränkt bleiben müssen, (2.) die normale Verwertung des Werkes nicht beeinträchtigen dürfen und (3.) die berechtigten Interessen des Rechteinhabers nicht ungebührlich verletzen dürfen.

Die Richtlinie hat also allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einen Gestaltungsspielraum offen gelassen, wie sie es mit der Panoramafreiheit halten wollen. Das führt dazu, dass es heute in Europa eine Vielzahl von unterschiedlichen Regelungen zur Panoramafreiheit gibt. In manchen Staaten gibt es die Panoramafreiheit nur für Gebäude, in manchen Staaten wie Frankreich, Griechenland und Italien gibt es aktuell gar keine Panoramafreiheit. Belgien sieht vor, dass Werke nur als Beiwerk abgebildet werden dürfen, also nicht bildfüllend. In Großbritannien, Deutschland, Polen, der Schweiz und Spanien gibt es Panoramafreiheit für Gebäude und Kunstwerke und auch zu gewerblichen Zwecken.

Im Juni 2015 hat nun der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments vorgeschlagen, die freizügigen Regelungen in Deutschland und Großbritannien auf nicht-gewerbliche Nutzungen zu beschränken. In Ziffer 46 des Plenarsitzungsdokuments heißt es deshalb, das Europäische Parlament

„vertritt die Auffassung, dass die gewerbliche Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an physischen öffentlichen Orten platziert sind, immer an die vorherige Einwilligung der Urheber oder sonstigen Bevollmächtigten geknüpft sein sollte“

Über diesen Antrag wird am 9. Juli 2015 im Europäischen Parlament abgestimmt.

Geht er durch, dann könnten sich gewerbliche Nutzer (wie Postkartenhersteller und Fernsehsender) nicht mehr auf die Panoramafreiheit berufen, müssten also Genehmigungen von den Urhebern einholen, wenn die Gebäude oder Kunstwerke etwa gefilmt werden sollen.

Haben nun die geplanten Änderungen Auswirkungen auf den Upload der beliebten Selfies in sozialen Netzwerken wie etwa Facebook? Die verbreitete Aufregung um die „Abschaffung“ der Panoramafreiheit scheint etwas übertrieben, denn selbst wenn sich das Parlament für die Abschaffung entschließen sollte, würde dies immer nur die gewerblichen Anbieter treffen. Und Selfies vor neuen französischen oder italienischen Bauwerken wären eigentlich heute schon nicht gestattet. Abmahnungen dazu gibt es aber glücklicherweise dennoch nicht. Dennoch hat sich die deutsche Regelung bewährt, es wäre also zu begrüßen, wenn sie beibehalten werden dürfte.

Wikipedia weist zutreffend darauf hin, dass die Abschaffung der Panoramafreiheit die Fotografie moderner Architektur erheblich einschränken könnte, tausende von in Wikipedia eingestellten Bildern wären mutmasslich davon betroffen. Selbst die (neue) Kuppel des Reichstages müsste dann auf gewerblichen Aufnahmen vermutlich geschwärzt werden.


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