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Über die Urheberrechte an den berühmten Tagebüchern der Anne Frank ist ein Rechtsstreit entbrannt. Die 1929 in Frankfurt a.M. geborenen Anne Frank war mit ihren Eltern vor den Nazis nach Amsterdam geflohen. Doch schon 1940 wurde Holland von Hitler Deutschland besetzt, den dort lebenden Juden drohte ein ähnliches Schicksal wie den deutschen Juden. Am 5. Juli 1942 beschloss der Vater von Anne Frank mit seiner Familie unterzutauchen und bezog mit ihr ein Versteck im Hinterhaus, dessen Zugang durch ein Bücherregal verdeckt war. Dort schrieb Anne Frank ihre berühmten Tagebücher, bis das Versteck im August 1944 verraten wurde. Anne Frank wurde mitsamt ihrer Familie verhaftet und starb Anfang 1945 im KZ Bergen Belsen. Posthum wurden ihre Tagebücher 1947 von ihrem Vater Otto Frank, der Ausschwitz überlebt hatte, veröffentlicht und haben sich seither millionenfach verkauft.

Wie die FAZ berichtet, haben eine Abgeordnete aus Frankreich und Universitätsdozent die Tagebücher jetzt im niederländischen Original im Internet veröffentlicht und berufen sich dabei darauf, dass die Schutzfristen 70 Jahre nach dem Tod der Autorin abgelaufen seien. Anne Franks Vater, der 1980 verstorben ist, hatte 1963 den Anne Frank Fonds als karitative Stiftung in Basel gegründet, der die Rechte seiner Tochter verwaltet. Der Fonds behauptet nun offenbar, es handele sich bei den Tagebüchern um posthum veröffentliche Werke, bei denen eine 50-jährige Schutzfrist ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung gelte, denn der vollständige Text der Tagebücher sei erst 1986 veröffentlicht worden.

Nach Angaben des Anne Frank Fonds auf seiner Website hat ein holländisches Zivilgericht am 23. Dezember 2015 zugunsten des Fonds geurteilt, dass die Rechte bis zum 1. Januar 2037 geschützt seien, weil nach holländischem Urheberrechtsgesetz ein Werk, das erstmalig posthum und vor 1995 veröffentlicht wurde, bis zum Ablauf von 50 Jahren nach der Ersterscheinung geschützt sei. Das Gericht habe bestätigt, dass Anne Franks Schriften erstmals 1986 im Rahmen einer wissenschaftlichen kritischen Ausgabe erschienen sind und deshalb bis zum 1. Januar 2037 geschützt bleiben. Welches Gericht diese Entscheidung getroffen hat ist bisher unklar. Doch müssen sich auch die holländischen Gerichte an die zwingenden Regelungen der Schutzfristen-RL halten. Doch was sehen diese vor?

Der Schutz von posthum veröffentlichten Werken war jedenfalls im deutschen Urheberrecht in § 64 Abs. 2UrhG aF in einem zweistufigen System geregelt, die eine Verlängerung des Schutzes um 10 Jahre auf insgesamt 80 Jahre vorsah.[1] Die Schutzfristenrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft 2006/116/EG statuiert aber in Art. 1 Abs. 1 eine fixe Dauer des Urheberrechts von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers. Art. 1 Abs. 1 der Schutzfristen-RL lautet:

„Die Schutzdauer des Urheberrechts an Werken der Literatur und Kunst im Sinne des Artikels 2 der Berner Übereinkunft umfasst das Leben des Urhebers und siebzig Jahre nach seinem Tod, unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem das Werk erlaubterweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.“

Die Regelung des Art. 1 Abs. 1 der Schutzfristen-RL ist zwingend und läßt keine Ausnahmen zu.[2] Die alte Regelung des deutschen UrhG durfte vor dem Hintergrund der Schutzfristen-RL nicht mehr beibehalten werden.[3] Das gleiche muss auch für das holländische Urheberrecht gelten.

Allerdings sieht die Schutzfristen-RL in Art. 4 eine besondere Regelung für posthum veröffentlichte Werke vor. In Art. 4 heisst es:

„Wer ein zuvor unveröffentlichtes Werk, dessen urheberrechtlicher Schutz abgelaufen ist, erstmals erlaubterweise veröffentlicht bzw. erlaubterweise öffentlich wiedergibt, genießt einen den vermögensrechtlichen Befugnissen des Urhebers entsprechenden Schutz. Die Schutzdauer für solche Rechte beträgt 25 Jahre ab dem Zeitpunkt, zu dem das Werk erstmals erlaubterweise veröffentlicht oder erstmals erlaubterweise öffentlich wiedergegeben worden ist.“

In Bezug auf posthum veröffentlichte Werken gab es vor dem Inkrafttreten der Schutzfirsten-RL eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungen, wie etwa den deutschen § 64 UrhG aF oder das italienische Urheberrecht, das eine 20 jährige Verlängerung des damals dort 50 jährigen Schutzes vorsah.[4]

Voraussetzung des ergänzenden Schutzes nach Art. 4 der Schutzfristen-RL ist allerdings, dass das fragliche Werk zum Zeitpunkt seiner erstmaligen posthumen Veröffentlichung gemeinfrei war, das ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 4 „ein zuvor unveröffentlichtes Werk, dessen urheberrechtlicher Schutz abgelaufen ist.“[5]

Es käme hier also darauf an, ob nach holländischem Recht 1985 die Urheberrechte von Anne Frank bereits abgelaufen waren. Dann könnte der Fonds zusätzliche 25 Jahre Schutz geniessen, die dann allerdings auch schon 2010 abgelaufen wären.

Facit: Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass das Urteil auf das sich der Anne Frank Fonds beruft, einer rechtlichen Überprüfung standhalten würde, zumindest dann wenn das Berufungsgericht die Schutzfristen-RL richtig auslegt. Die Internet-Veröffentlichungen der Tagebücher dürften insofern rechtlich nicht zu beanstanden sein.

[1] Vgl. Schicker/Katzenberger, UrhG 4. Aufl. 2010, § 64, Rz. 27.

[2] Vgl. Walter/ v. Lewinsky, European Copyright Law, 2013, S. 568 (Rz. 8.4.1.).

[3] So die herrschende Meinung, vgl. Schicker/Katzenberger, UrhG 4. Aufl. 2010, § 64, Rz. 28.

[4] Vgl. Walter/ v. Lewinsky, European Copyright Law, 2013, S. 569 (Rz. 8.4.5.).

[5] Vgl. Walter/ v. Lewinsky, European Copyright Law, 2013, S. 571 (Rz. 8.4.10.).


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