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Das LG Aachen hält eine Verfilmung der Geiselnahme von Gladbeck für rechtlich zulässig und lehnte daher den Prozesskostenhilfeantrag des Geiselnehmers zum Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Produktionsfirma am 02.06.2016 ab. Die Persönlichkeitsrechte des Geiselnehmers Hans-Jürgen Rösner stehen dem Filmprojekt nach Ansicht des Gerichts nicht im Weg.

Das Gladbecker Geiseldrama

Drei Tage lang hielten Hans-Jürgen Rösner und sein Komplize Dieter Degowski Deutschland in Atem. Am 16. August 1988 überfielen sie nach durchzechter Nacht und aufgeputscht mit Aufputschmitteln die Filiale der Deutschen Bank im nordrhein-westfälischen Gladbeck und nahmen im Anschluss an den aus dem Ruder gelaufenen Bankraub mehrmals Geiseln, mit denen sie zwei Tage lang durch Deutschland und die Niederlande flüchteten. Dieses beispiellose Drama kostete drei Menschen das Leben. Erst am 18. August konnten die Geiselnehmer durch die Polizei gestoppt werden.

Rösner und Degowski flohen in den späten Abendstunden des 16. August, an dem sich früh morgens der Banküberfall ereignet hatte, mit Bankangestellten als Geiseln in einem mit Peilsender präparierten Fluchtfahrzeug von Gladbeck in Richtung westfälisches Hagen. Noch in Gladbeck stieg Rösners Freundin Marion Löblich zu, welche am 17. August an der Raststätte Grundbergsee von zwei Polizeibeamten bei ihrem Gang zur Toilette festgenommen wurde. Rösner und Degowski forderten ihre sofortige Freilassung und drohten, nach fünf verstrichenen Minuten eine Geisel zu erschießen. Bei der Freilassung kam es zu Verzögerungen und Degowski schoss innerhalb der kurz gesetzten Frist dem 15-jährigen Emanuele De Giorgi in den Kopf, welcher verblutete. Die Verbrecher flüchteten daraufhin mit einem Bus weiter, den sie mittlerweile in ihre Gewalt bringen konnten. Bei der Verfolgung des Busses durch die Polizei kollidierte der Polizeiwagen mit einem Lastkraftwagen, wodurch ein Polizist starb. Bei der sehr umstrittenen abschließenden Polizeiaktion am 18. August auf der Autobahn 3 auf Höhe Hövel/Brüngsberg kam dann eine der zwei Geiseln ums Leben. Nachdem die Polizei das am Seitenstreifen angehaltene Fluchtfahrzeug fahruntüchtig gemacht hatte, griff ein Sonderkommando der nordrhein-westfälischen Polizei aus Köln mit Waffengewalt und Blendgranate ein. Nach einem heftigen Schusswechsel, bei dem die Polizei insgesamt 62 Schüsse auf den Fluchtwagen abfeuerte, starb das letzte Opfer, die 18-jährige Silke Bischoff, durch eine Kugel aus Rösners Waffe. Degowskis Strafverteidiger Rolf Bossi gab an, dass sich der tödliche Schuss aus Rösners Waffe während einer Schmerzreaktion des Täters löste, als dieser von einer Kugel im Oberschenkel getroffen wurde. Medien und Polizei standen jahrelang aufgrund ihres Verhaltens in der Diskussion.

Beide Verbrecher wurden 1991 vom LG Essen wegen gemeinschaftlichen erpresserischen Menschenraubs und Geiselnahme mit Todesfolge (Degowski dazu wegen Mordes und Rösner wegen versuchten Mordes) zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.

Film ab!

Der noch immer in der Justizvollzugsanstalt Aachen inhaftierte Hans-Jürgen Rösner wollte eine geplante ARD-Verfilmung über das Geiseldrama verhindern. ARD hat vor ein zweiteiliges Dokumentationsdrama über die Geiselnahme aus der Opferperspektive zu drehen. Schon im Sommer dieses Jahres soll mit den Dreharbeiten, zum Teil an Originalschauplätzen, begonnen werden.

Rösners Rechtsanwalt Rainer Dietz ließ der Berliner Produktionsfirma Ziegler TV eine Unterlassungsaufforderung zukommen, der Ziegler TV jedoch nicht nachkam. Die Produktionsfirma Ziegler TV war der Meinung das Geiseldrama von 1988 gehöre zu den spektakulärsten Verbrechen der Nachkriegsgeschichte, daher müssten die Täter als Personen der Zeitgeschichte eine filmische Darstellung jedenfalls hinnehmen, vergleichbar mit den Terroristen der RAF.

Dietz entgegnete, die Verfilmung würde eine Resozialisierung Rösners gefährden, die Wiedereingliederung seines Mandanten in die Gesellschaft würde durch eine Produktion aus Opferperspektive stark gefährdet. Rösner würde dadurch erheblich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Er verwies dabei auf die Lebach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1973 (Urteil v. 05.06.1973, Az. 1 BvR 536/72), die als Grundsatzurteil zum Verhältnis zwischen Rundfunkfreiheit und Persönlichkeitsrecht gilt. Das Verfassungsgericht entschied im Lebach-Urteil, dass grundsätzlich das Informationsinteresse der Bevölkerung an der Berichterstattung über eine Straftat überwiegt und damit die Rundfunkfreiheit den Persönlichkeitsschutz des Täters verdrängt, dies aber dann abzulehnen sei, wenn die Berichterstattung eine mögliche Resozialisierung des Täters gefährdet, da dann das Persönlichkeitsrecht des Täters aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG stärker wiegt. Ein wiederholter Eingriff in den Persönlichkeitsbereich des Täters lasse sich demnach etwa nicht mehr rechtfertigen, wenn das Informationsinteresse der Öffentlichkeit durch eine umfassende Berichterstattung bereits befriedigt wurde. Dieses Informationsinteresse habe der Täter allerdings im Rahmen seines unsittlichen Verhaltens und des begangenen Rechtsfriedenbruchs zu dulden. Rösners Anwalt trug weiter vor, dass ein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit nur anzunehmen sei, wenn Ziegler Film im Doku-Drama eine „ausgewogene journalistische Perspektive“ einnehmen würde und ebenso die Täterperspektive darstellen würde.

Da die Produktion eine ausgewogene journalistische Perspektive jedoch vermissen lasse, stellte Rösner einen Prozesskostenhilfeantrag um eine Einstweilige Verfügung gegen Ziegler TV erwirken zu können. Diesen Antrag des Geiselnehmers lehnte die zuständige Kammer des LG Aachen jedoch am 02.06.2016 ab. Das Landgericht begründete die Abweisung damit, dass keine hinreichenden Erfolgsaussichten in der Sache vorlägen. Nach Ansicht des Landgerichts tangiere die geplante Verfilmung Rösners Persönlichkeitsrechte erheblich, die Gefährdung der Resozialisierung sei jedoch nachrangig und habe hinter der Meinungs-, Rundfunk-, Presse- und Kunstfreiheit jedoch zurückzustehen.

In Anlehnung an die Lebach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist dies regelmäßig dann anzunehmen, wenn bei einer erneuten Abwägung bezüglich einer späteren Berichterstattung, die nicht mehr das tagesaktuelle Informationsinteresse bedient, die Rundfunkfreiheit überwiegt. In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 1999 stellte das Bundesverfassungsgericht zudem fest (Bs v. 25.11.1999, Az. 1 BvR 384/98), dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht Straftätern keinen Anspruch einräumt, in der Öffentlichkeit gar nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden. Im Lebach-Urteil betonte das Bundesverfassungsgericht noch, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht zwar vor einer zeitlich unbeschränkten Befassung der Medien mit dem Täter und seiner Privatsphäre schützt, jedoch keine vollständige Immunisierung gewährleistet, vielmehr sei das Maß der Beeinträchtigung für die Persönlichkeitsentfaltung entscheidend. Rösners Anwalt gab an, gegen die Entscheidung des LG Aachen Beschwerde einlegen zu wollen.

Bewertung

Schon einmal hatte es in der Vergangenheit einen jahrelangen Rechtsstreit um die Verfilmung eines spektakulären Verbrechens gegeben, als die Geschichte des Kannibalen von Rothenburg Armin Meiwes in dem Film in dem Film Rohtenburg verfilmt worden war. Der BGH hatte hier 2009 nach langjährigen Rechtsstreitigkeiten die Vorführung des Filmes gestattet (BGH VI ZR 191/08) und darauf verwiesen, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Kunst- und Filmfreiheit überwiege.  Auch ein Verbrecher hat Persönlichkeitsrechte und daher auch ein Recht darauf nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gesellschaft eingegliedert zu werden. Eine solche Wiedereingliederung ist naturgemäß gefährdet, wenn der Täter mit einer lange zurückliegenden Tat durch eine Filmproduktion negativ in das Gedächtnis der Gesellschaft gerufen wird. Die Entscheidung des LG Aachen ist jedoch zu begrüßen. Eine filmische Aufarbeitung des wohl spektakulärsten Geiseldramas in der deutschen Nachkriegsgeschichte wäre andernfalls nicht möglich gewesen. Hieran besteht jedoch ein großes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, welches das Resozialisierungsinteresse des Täters überwiegt. Da der Fall eine jahrelange Diskussion auch und insbesondere über das Verhalten der Medien und der Polizei während des Geiseldramas auslöste, ist eine Aufarbeitung wertvoll und begrüßenswert. Es bleibt abzuwarten, ob Rösners Beschwerde zum Oberlandesgericht eine andere Beurteilung zur Folge haben wird und ob der Fall auch wieder den Bundesgerichtshof beschäftigen wird.


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