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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einer aktuellen Entscheidung festgestellt, dass bei persönlichkeitsrechtsverletzenden Äußerungen im öffentlichen Meinungskampf ähnlich wirkende Erwiderungen durch den Betroffenen zulässig sind (Beschl. v. 10.03.2016 – 1 BvR 2844/13).

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin ist die Ex-Freundin des Moderators, Journalisten und Unternehmers Jörg Kachelmann, die ihn im Jahr 2010 wegen Vergewaltigung und schwerer Körperverletzung angezeigt hatte. Der darauf folgende Strafprozess vor dem LG Mannheim endete 2011 mit einem Freispruch, da Kachelmann eine Straftat nicht nachgewiesen werden konnte.

Im Anschluss äußerte sich Kachelmann öffentlich über die Beschwerdeführerin, wobei er ihr insbesondere vorwarf, die Vergewaltigungsvorwürfe frei erfunden zu haben („Was soll ich über lügende Zeuginnen sagen …“, „Viel interessanter wäre doch zu erfahren, was psychologisch in der Frau vorging, die mich einer Tat beschuldigt, die ich nicht begangen habe“). Daraufhin gab auch die Beschwerdeführerin ein Interview, in dem sie die Anschuldigungen gegen Kachelmann wiederholte („Wer mich und ihn kennt, zweifelt keine Sekunde daran, dass ich mir diesen Wahnsinn nicht ausgedacht habe. Ich bin keine rachsüchtige Lügnerin“, „… die Tat könne sich nicht so abgespielt haben, wie es die Nebenklägerin, also ich, behauptet – und man selbst sitzt zu Hause, liest das und weiß ganz genau: ES WAR ABER SO!“, „In seinen Augen hat er in der besagten Nacht ja nichts falsch gemacht. Er hat nur die Machtverhältnisse wieder so hergestellt, wie sie seiner Meinung nach richtig sind“).

Kachelmann verlangte von ihr Unterlassung der Äußerungen. Das Landgericht (LG) Köln entschied zu seinen Gunsten (Urt. v. 30.05.2012 – 28 O 1065/11), das Oberlandesgericht (OLG) Köln wies die von der Beschwerdeführerin eingelegte Berufung zurück (Urt. v. 06.11.2012 – 15 U 97/12), auch die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) blieb ohne Erfolg (Beschl. v. 30.07.2013 – VI ZR 518/12).

Mit der Verfassungsbeschwerde wendete sich die Beschwerdeführerin gegen alle drei Entscheidungen.

Entscheidung des Gerichts

Das BVerfG erachtete die Verfassungsbeschwerde in seiner Entscheidung  (Beschl. v. 10.03.2016 – 1 BvR 2844/13) wegen einer Verletzung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG als begründet.

Die Meinungsfreiheit umfasse auch das Recht, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert zu bewerten. Bei einem unmittelbar vorangegangenen Angriff auf die Ehre einer Person stehe dieser ein „Recht auf Gegenschlag“ zu. Sie sei dabei nicht auf eine rein sachliche Erwiderung beschränkt, sondern könne gleichfalls in emotionalisierter Weise reagieren. Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben habe, müsse eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindere.

Aufgrund des Freispruchs dürften die Vorwürfe, die Gegenstand des Strafverfahrens waren, nicht unbegrenzt wiederholt werden. Zugunsten der Beschwerdeführerin sei jedoch zu berücksichtigen, dass sie sich in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem damals noch nicht rechtskräftigen Freispruch äußerte und lediglich das wiederholt habe, was der Öffentlichkeit bereits aufgrund der umfänglichen Berichterstattung zu dem Verfahren bekannt gewesen sei.

Bewertung

Das „Recht zum Gegenschlag“ wurde vom BVerfG bereits in den 1960er Jahren entwickelt (Beschl. v. 25.01.1961 – 1 BvR 9/57, Beschl. v. 06.11.1968 – 1 BvR 501/62) und folgt dem Motto „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“.

In der vorliegenden Entscheidung setzt das BVerfG diese Rechtsprechung fort und nimmt eine zutreffende Abwägung zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht Kachelmanns und der Meinungsfreiheit seiner Ex-Freundin vor. Diese durfte sich aufgrund des vorangegangen Interviews, in dem sie der Lüge bezichtigt wurde, herausgefordert fühlen, in ähnlichem Tonfall zu antworten.

Das Verfahren um die Interview-Äußerungen ist nicht der einzige Rechtsstreit, den Kachelmann gegen seine Ex-Freundin führt. Wie aus der Pressemitteilung des Rechtsanwalts von Kachelmann zu der Entscheidung des BVerfG hervorgeht, läuft derzeit vor dem OLG Frankfurt ein Verfahren, in dem im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs geklärt werden soll, ob die Vergewaltigungsvorwürfe der Wahrheit entsprechen.

Neben seiner Ex-Freundin hatte Kachelmann auch verschiedene Medien wegen der ausufernden Berichterstattung über das Strafverfahren verklagt. Das LG Köln hatte ihm dabei eine Rekord-Geldentschädigung i.H.v. 635.000 € gegenüber dem Axel-Springer-Verlag zugesprochen (Urt. v. 30.09.2015 – 28 O 2/14 und 28 O 7/14, siehe dazu unseren Kommentar). Die Entscheidungen sind jedoch noch nicht rechtskräftig, das OLG Köln als Berufungsinstanz soll nach Medienberichten in der mündlichen Verhandlung eine geringere Summe in Aussicht gestellt haben.

Videoblog zum Fall


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