BGH I ZR 19/16 – „Loud“ Eltern müssen ihre Kinder verraten
Schriftliche Urteilsgründe im Loud Fall BGH I ZR 19/16 veröffentlicht
Der BGH hat in der Grundsatzentscheidung I ZR 19/16 „Loud“ nunmehr die langerwarteten schriftlichen Entscheidungsgründe der Loud Entscheidung veröffentlicht, nach denen Eltern im Filesharing Prozess ihre Kinder verraten müssen. Doch was bringen diese schriftlichen Urteilsgründe an neuen Erkenntnissen im Vergleich zu den vorangegangenen Entscheidungen?
In der Rz. 19 führt der BGH zunächst einmal aus, dass es keinen hinreichend typischen Geschehensablauf gebe, dass der Inhaber eines Internetanschlusses immer Täter einer Urheberrechtsverletzung sei, die über seinen Anschluss begangen wurde, dies deshalb weil es ja naheliege, dass der Anschlußinhaber Dritten Zugriff auf seinen Anschluss eingeräumt haben könne.
Da aber die Nutzung des Anschlusses ein Interna des Anschlussinhabers sei treffe diese eben auch die sekundäre Darlegungslast. Doch wie weit reichte diese?
„Die Bestimmung der Reichweite der dem Anschlussinhaber obliegenden sekundären Darlegungslast hat mit Blick darauf zu erfolgen, dass erst die Kenntnis von den Umständen der Anschlussnutzung durch den Anschlussinhaber dem Verletzten, dessen urheberrechtliche Position unter dem grundgesetzlichen Schutz des Art. 17 Abs. 2 der EU-Grundrechtscharta und des Art. 14 Abs. 1 GG steht, (…) eine Rechtsverfolgung ermöglicht.“ (Rz. 20 des Urteils)
Der BGH verweist in der Rz. 20 der Urteilsgründe auch auf Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Dies mag eine Reaktion auf den Vorlagebeschluss des LG München I an den EuGH zur Afterlife Entscheidung des BGH sein, in dem ja das Landgericht München die Meinung vertritt, dass schon durch die Afterlife Entscheidung des BGH eine effektive Rechtsdurchsetzung nicht mehr gegeben sei. Der BGH tut sich auch ersichtlich schwer mit der folgenden Abwägung der betroffenen Grundrechte des Schutzes der Familie auf der Seite der Beklagten und des Eigentumsgrundrechts auf der Seite der Klägerin:
Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG umfasse, so der BGH auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern.
„Werden dem Anschlussinhaber zur Abwendung seiner täterschaftlichen Haftung im Rahmen der sekundären Darlegungslast im Zivilprozess Auskünfte abverlangt, die das Verhalten seines Ehegatten oder seiner Kinder betreffen und diese dem Risiko einer zivil- und strafrechtlichen Inanspruchnahme aussetzen, ist der Schutzbereich dieser Grundrechte berührt (vgl. BGH, GRUR 2017, 386, rn. 23 – Afterlife).“ (Rn. 21 der Entscheidungsgründe)
In den folgenden Absätzen bemüht sich der BGH um die notwendige Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten. Schonend konnte sie in diesem Fall nicht sein, denn es gab nur ein „Entweder – Oder“ darauf hatte der Senat ja schon in der mündlichen Urteilsbegründung hingewiesen (s.u.).
Der BGH beginnt zunächst in der Rz. 23 mit seinen in der „Afterlife-Entscheidung“ gefundenen Grundsätzen, wonach Art. 6 Abs. 1 GG jedenfalls einer Pflicht des Anschlussinhabers entgegenstehe, zur Abwendung seiner Haftung „die Internetnutzung seines Ehegatten einer Dokumentation zu unterwerfen“. Ebenso unzumutbar sei es „dem Anschlussinhaber die Untersuchung des Computers seines Ehegatten in Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Softwrae abzuverlangen“.
Warum muss der Anschlussinhaber zwar den Rechner seines Ehegatten nicht untersuchen, sehr wohl aber seine Kinder als Täter verraten? Darauf bleiben auch die nachfolgenden Gründe der Entscheidung letztlich eine befriedigende Antwort schuldig:
„Die Beklagten waren gehalten, im Rahmen der sekundären Darlegungslast das Kind zu benennen, welches Ihnen gegenüber die Rechtsverletzung zugegeben hatte“. (Rz. 24)
Die Abwägung der Grundrechte also des Eigentumsgrundrechts und des Schutzes der Familie führe zu einem Vorrang des Informationsinteresses der Klägerin. (Rz. 25).
„Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Mitteilung des Namens des für das Filesharing verantwortlichen Kindes durch die Eltern mit Blick auf die möglichen Folgen – der zivilrechtlichen oder gar strafrechtlichen Inanspruchnahme des Kindes – eine erhebliche Beeinträchtigung des Familienfriedens nach sich ziehen kann. Die Eltern unterliegen jedoch keinen Zwang zur Auskunft. Sie haben vielmehr die Wahl, ob sie die Auskunft erteilen oder ob sie davon absehen, das Kind anzugeben, dass die Rechtsverletzung begangen hat, und insoweit auf eine Rechtsverteidigung verzichten. Dass sie infolge eines Verteidigungsverzichts selbst für die Rechtsverletzung haften, weil ohne Erfüllung der sekundären Darlegungslast die tatsächliche Vermutung ihrer Haftung als Asnchlussinhaber eingreift, erlangt im Rahmen der Grundrechtsabwägung kein entscheidendes Gewicht.“ (Rz. 26 des Urteils)
Das Recht, im Zivilprozess wegen der familiären Bindung zu einer Partei Angaben zu verweigern, stehe nur dem Zeugen, nicht aber einer Prozesspartei zu. Habe die Partei in dieser Konstellation die Möglichkeit von (wahrheitsgemäßen) Angaben abzusehen, so habe sie die mit dem Verzicht auf den entsprechenden Vortrag verbundenen prozessualen Folgen – etwa das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsachenwürdigung – in Kauf zu nehmen. (Rz. 27).
So verhalte es sich auch im Falle der Nichterfüllung der sekundären Darlegungslast: Die betroffene Partei habe die Folgen ihres unzureichenden Vortrages zu trage, weil ihr einfaches Bestreiten unwirksam ist und die Geständniswirkung des § 138 Abs. 3 ZPO eintrete. (Rz. 27).
In der Rz. 28 stellt der BGH noch einmal die Positionen gegenüber: Während dem klagenden Rechteinhaber im Falle einer Weigerung der Eltern ihr Kind preiszugeben eine effektive Verfolgung des Rechtsverstoßes praktisch unmöglich bleibe, hätten es die Eltern doch in der Hand, eine Störung des Familienfriedens zu verhindern, indem sie nämlich darauf verzichten das Kind zu benennen und dann eben als Täter verurteilt werden.
Auch dieses Ergebnis stimmt aber nicht ganz: Denn die beklagten Eltern hatten ja im Prozess die Namen ihrer Kinder genannt, aber nur nicht mitgeteilt, welches Kind die Verletzungshandlung gestanden hatte. Die Klägerin hätte also prozessual die Möglichkeit gehabt, die beiden benannten Kinder ebenfalls mit zu verklagen. Dann hätten beide Kinder im Prozess sich verteidigen müssen und eben vortragen, ob sie es waren oder nicht. Auf diesem Weg wäre die Klägerin also sehr wohl zu ihrem Recht gekommen.
Vergleicht man zudem das hier gefundene Ergebnis mit dem, das der BGHB in der Afterlife Entscheidung begründet hat, gerade jüngst bestätigt durch die Entscheidung I ZR 68/16 dann vermag das Ergebnis von Loud beim besten Willen nicht zu befriedigen: Der Anschlussinhaber gewann in dem Sachverhalt der Entscheidung I ZR 68/16, obwohl er seinen Ehegatten noch nicht einmal direkt der Tathandlung beschuldigte und musste auch dessen Rechner nicht durchsuchen. Im Verhältnis zu seinen Kindern muss er diese aber der Tat bezichtigen, und wird andernfalls als Täter verurteilt.
Das Ergebnis der hier gefundenen täterschaftlichen Haftung der Eltern ist dogmatisch auch deswegen so befremdlich, weil es ja im Prozess unstreitig war, dass eines der Kinder die Tat begangen hatte. Der Begriff des „Täters“ im Urheberrecht ist aber identisch mit dem des Täters im Strafrecht.
Im Kommentar von Schricker zum Urheberrecht schreibt Mathias Leistner: „Passivlegitimiert sind als Verletzer der Täter, der die Urheberrechtsverletzung unmittelbar oder als mittelbarer Täter im strafrechtlichen Sinne begeht (§25 StGB), sowie Teilnehmer, d.h. Anstifter oder Gehilfen (§§ 830 Abs. 2 BGB; 26, 27 StGB) (vgl. Schricker/Löwenheim Leistner, § 97, Rz. 57). Kann eine täterschaftliche Haftung nicht nachgewiesen werden, so wird im Urheberrecht nachrangig eine Störerhaftung geprüft (vgl. dazu Schricker/Löwenheim Leistner, § 97, Rz. 54), die allerdings auf den Unterlassungsanspruch begrenzt ist. In der Tat hätte es in einem Fall wie dem vorliegenden wohl näher gelegen, eine Störerhaftung zu prüfen, als die beklagten Eltern, die es ja unstreitig nicht gewesen sein konnten, auf dem Umweg der Beweislastregel der sekundären Darlegungslast als Täter zu verurteilen.
Die mündliche Urteilsbegründung des BGH „Loud“
Mit Urteil vom 30. März 2017 hat der Bundesgerichtshof das Urteil des OLG München bestätigt und der Musik- und Abmahnindustrie einen fragwürdigen Sieg beschert. Danach müssen Eltern ihre eigenen Kinder verraten, wenn sie verhindern wollen, dass sie selber verurteilt werden. Die FAZ kommentiert das Urteil als „bizarren juristischen Sieg“ der Musikindustrie unter dem Titel „Der Ehrliche ist der Dumme“.
Der BGH hatte noch kurz zuvor in der Afterlife Entscheidungen die familiäre Sphäre gegenüber Abmahnungen gestärkt, weicht aber von dieser Linie klar wieder ab: Auch aus der „Afterlife“ Entscheidung, so der BGH, ergebe sich nichts anderes. Diese führe zwar dazu, dass es innerhalb der Familie keine vertieften Nachforschungspflichten mehr gebe und etwa Rechner von Familienmitgliedern nicht durchsucht werden müssten. Das, so der BGH, ergebe die Abwägung der hier wiederstreitenden Grundrechte, einmal des Eigentumsrechts des klagenden Tonträgerherstellers und auf der anderen Seite des grundrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie aus Art. 6 GG.
In Fällen, in denen wie im vorliegenden Fall, die Eltern aber wissen, wer für die Rechtsverletzung verantwortlich ist, seien sie im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast verpflichtet, die Identität ihres Kindes preiszugeben, es also zu verraten. Andernfalls werden die Eltern – wie hier – selber als Täter der Urheberrechtsverletzung verurteilt.
Das Urteil ist bedauerlich, führt es doch dazu, dass es für Familienanschlüsse eine Art Störerhaftung konstituiert, die dazu führt, dass abgemahnte Familien letztlich immer bezahlen müssen, wenn sie nicht behaupten wollen, sie wüssten nicht wer für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Das Urteil des BGH kann noch mit der Verfassungsbeschwerde zum BVerfG angefochten werden.
Sachverhalt der „Loud“ Entscheidung
Über den Internetanschluss des beklagten Ehepaars war am 02. Januar 2010 illegal über eine Filesharing Tauschbörse das Musikalbum der Künstlerin Rihanna „Loud“ getauscht und damit auch angeboten worden. Wenig später erhielten die Beklagten von der auf Abmahnungen spezialisierten Kanzlei Rasch Rechtsanwälte eine Abmahnung wegen Filesharings, in der von Ihnen die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und die Zahlung von Schadensersatz und Anwaltskosten verlangt wurde. Die von unserer Kanzlei vertretenen Beklagten hatten auf diese Abmahnung allerdings nur eine modifizierte Unterlassungserklärung abgegeben und die Zahlung von Schadensersatz und Anwaltskosten verweigert. Erheblich später wurden die Beklagten dann von dem Tonträgerhersteller Universal Music und deren Kanzlei Rasch auf Zahlung von Anwaltskosten und Schadensersatz verklagt.
Im Prozess haben sich die Beklagten damit verteidigt, dass sie damals gemeinsam mit ihren drei volljährigen Kindern wohnten. Am fraglichen Abend hatten sie Besuch eines befreundeten Ehepaars und mit diesem gemeinsam im Wohnzimmer zu Abend gegessen und den Abend verbracht, ihr eigener Rechner im Wohnzimmer war ausgeschaltet gewesen. Zudem hatten sie keinerlei Interesse an dem heruntergeladenen Material, da sie selber nur klassische Musik hörten. Während des Abends hatten aber ihre Kinder Zugriff auf ihr WiFi Netzwerk. Nach Eingang der Abmahnung hatten die beklagten Eltern ihre Kinder befragt und eines ihrer Kinder hatte daraufhin die Urheberrechtsverletzung in der Tauschbörse zugegeben. Das hatten die Eltern auch vor Gericht vorgetragen, sie waren allerdings der Meinung, dass sie schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verpflichtet seien die Identität des Kindes preiszugeben, das den Verstoß begangen hatten, denn zum einen würden sie dadurch ihr Kind der Gefahr einer Strafverfolgung preisgeben, als auch zivilrechtliche Haftungsansprüche gegen dieses Kind begünstigen.
Bewertung der Loud Entscheidung:
Die „Loud“ Entscheidung des BGH ist juristisch zu bedauern. Es bleibt abzuwarten, ob der „bizarre Sieg“ der Musikindustrie vielleicht noch politische Debatten auslöst, ob eine derart weite Störerhaftung der Familie für Tauschbörsen in Deutschland wirklich politisch gewünscht ist.
Dr. Konstantin von Notz (Bündes 90/Die Grünen) hatte im Bundestag noch im Sommer 2016 bei der Diskussion über die (bisher wirkungslose) Abschaffung der Störerhaftung für W-LANs durch den Gesetzgeber die Entscheidung des BGH „Sommer unseres Lebens“ von Mai 2010 zitiert, mit der die Störerhaftung für private W-LAN-Betreiber erschaffen wurde. Daraus seien zu aller Leidwesen „sechs Jahre unseres Lebens“ geworden. Mit seinem Loud-Urteil hat der BGH nun eine neue Familien-Störerhaftung geschaffen, von der man nur hoffen kann, dass sie nicht ebenfalls so lange überdauert.
Vorinstanzen der „Loud“ Entscheidung
Landgericht München (Urteil vom 01.07.2015, Az. 37 O 5349/14)
OLG München (Urteil vom 14. Januar 2016, Az. 29 U 2593/15)